Schluss mit dem Mythos, Verletzlichkeit sei eine Schwäche
Wer hat damit angefangen, dass Verletzlichkeit zu zeigen eine Schwäche sei?
Manchmal macht es mich regelrecht wütend, wenn ich merke, wie stark die Verletzungen durch Glaubenssätze und Überzeugungen über Generationen hinweg bis heute wirken. Sie sind wie fest codierte Anweisungen auf unserer Festplatte, denen wir fast wie automatisiert folgen. Obwohl wir es eigentlich schon besser wissen. Das Ergebnis ist, dass es viel Druck, viel Leid und Schmerz verursacht.
Ich habe in dieser Woche mit einer Klientin gesprochen, die nach einem großen Familienstreit sehr betroffen war: Eltern und Sohn hatten sich abgewendet und sie blieb allein und in dem Gefühl zurück, unverstanden und ausgestoßen zu sein. Was war passiert?
Du gehörst nicht mehr dazu!
Sie hatte über Jahre hinweg bis zum Umfallen alle Fäden in der Hand gehalten und sich um alle Familienmitglieder gekümmert. Nun fühlte sie sich in diesem Jahr zunehmend erschöpft und hat auf ihre Weise Signale gesendet. Vor allem an ihre Mutter. Sie hat vorsichtig versucht zu zeigen: „ich kann nicht mehr.“ Die Resonanz war gutes Zureden seitens der Mutter und Motivation, durchzuhalten. Als die Klientin dann im freien Fall der totalen Erschöpfung die Reißleine gezogen hat und Grenzen setzte, hat sich die Mutter abgewendet mit den Worten „ich verstehe Dich nicht mehr“.
Wie konnte das passieren?
Der Kern dieser Situation liegt in einem Glaubenssatz, der in unserer Gesellschaft und in unseren Familien immer noch sehr verbreitet ist: Verletzlichkeit ist Schwäche. Es ist weit mehr als eine Überzeugung. Es ist eine Information, die aus der Tiefe des Unterbewusstseins und der DNA auf diffuse Weise immer wieder unser Handeln beeinflusst. Dabei sind es unsere ehrlich offenbarten Gefühle, die uns als Schwäche angekreidet werden. Sie werden als Schwäche gedeutet, weil wir in diesem Moment das Risiko eingehen, in der Folge verwundet, besiegt oder übervorteilt zu werden.
Mit Gefühlen, die Verletzlichkeit offenbaren, sind wir nicht vertraut, weil sie meistens versteckt werden.
Wie ist die Mutter der Tochter begegnet, als sie hörte, dass sie keine Kraft mehr hat? Sie gab das weiter, was sie selbst in solchen Situationen erfahren hat. In diesem Fall war es ein aufbauendes „Weiter so, Du schaffst das schon. Das gibt sich wieder“. Sie ist nicht eingegangen auf die Verletzlichkeit ihrer Tochter. Sie hat es überhört oder gar nicht als solches wahrgenommen.
Wie hätte es ausgesehen, wenn sie ihre Tochter in den Arm genommen hätte und mit Worten und Taten ihre Verzweiflung, ihre Angst, ihre emotionale Blöße geteilt hätte? Wenn sie ihr das Gefühl gegeben hätte: ich sehe Deinen Schmerz und Druck. Ich fühle mich gerade überfordert damit, weil ich nicht weiß, wie ich Dir helfen kann. Aber Du bleibst meine Tochter, die ich liebe. Und Du bist für mich genauso wertvoll und wichtig, auch wenn Du das Gefühl hast, Du kannst nicht mehr und musst alles liegen lassen.
Was denkst Du? Wie würde es meiner Klienten damit gehen? Wie würde es Dir an ihrer Stelle gehen?
Gefühle passen nicht unsere Leistungsmuster
Sie lassen sich einfach nicht jederzeit abrufen, optimieren oder eliminieren, wenn sie stören. Wir müssen auch nicht immer sofort eine Antwort auf sie haben. Gefühle sind der Kern unseres Lebens. Sie sind es, die unser Leben liebenswert machen. Und zwar alle Gefühle. Diejenigen, nach denen wir uns sehen und auch die, vor denen wir uns gerne mal wegducken.
Nur haben wir keine Erfahrung damit, wie wir alle unsere Gefühle annehmen. Daher versuchen wir uns weiterhin davor zu schützen, dass wir in Situationen kommen wie meine Klientin. Wir versuchen uns vor Verletzlichkeit zu schützen und haben wenig Verständnis für Menschen, die ihre Verletzlichkeit ganz offen zeigen, weil sie in uns unsere Verletzlichkeit antriggern, die wir so wunderbar in die letzte Schublade gepackt haben.
Es ist Zeit, es ist jetzt Deine Zeit, dieses Glaubensmuster „Verletzlichkeit ist Schwäche“ aus Dir und damit auch aus Deinem Familiensystem zu lösen. Du bist nicht allein davon betroffen, wenn Du manchmal Verunsicherung und Angst fühlst, ob Du Dein Gefühl aushalten oder es jemandem anderen zumuten kannst.
Wir sind alle davon betroffen. Du bist damit nicht allein. Mach Dir noch mal bewusst klar:
Verletzlich ist nicht das Gleiche wie Schwäche.
Schau mal in Dein Wörterbuch, dort wirst Du etwas erstaunliches feststellen. Die Definition von Schwäche enthält an keiner Stelle das Wort „Verletzlichkeit“ oder „verletzlich“. Schwäche ist „nur“ ein Mangel an Kraft. Auch bei der Definition von Verletzlichkeit ist mit keiner Silbe etwas des Wortes “Schwäche“ zu entdecken. Verletzlichkeit bedeutet, verwundbar zu sein. Aus Verletzlichkeit kann eine Schwächung oder eine Wunde entstehen. Doch muss es nicht zwangsläufig genauso eintreten. Es kann auch eine Stärke und Kraft daraus erwachsen.
Ich will aber nicht als zu emotional abgestempelt werden!
Wenn Dir dieser Gedanke durch den Kopf geht, dann ist der Glaubenssatz in Deinem Unterbewusstsein noch sehr lebendig. Dazu passen so innere Antreiber wie „Sei keine Heulsuse“, „Stell Dich nicht so an“, „Sei kein Weichei“, „andere schaffen das auch, wieso Du nicht“? Es sind Anzeichen dafür, wie sehr Du darum ringst, Dich vor Deiner Verletzlichkeit zu schützen. Du willst sein, wie die anderen, weil Du Dich nur dann willkommen fühlst und nicht aneckst. Gehen wir noch mal einen Schritt zurück:
Was ist Verletzlichkeit eigentlich?
Verletzlichkeit ist ein Zustand, der weder gut noch schlecht ist. Es ist ein Moment in Deinem Leben, der Dich an Dein Fühlen verbindet und gleichzeitig ist Verletzlichkeit auch der Kern in all Deinen Gefühlen. In solchen, die Du herbeisehnst und in jenen, vor denen Du Dich am liebsten abschottest. Verletzlich zu sein, heißt, die Schmetterlinge und Knoten im Bauch gleichermaßen anzuerkennen. Sie beide sind ein Teil von Dir.
Den Augenblick der Verletzlichkeit zu spüren, bedeutet, dass Du ganz verbunden bist mit Deiner Energie und mit Deinem Leben. Verletzlichkeit ist schwer für Deinen Geist zu halten. Aber es ist ein Moment Deines Herzens, Deiner Seele, Deiner Liebe, mit der Du dann tief verbunden bist.
Wie löst Du es auf?
Verletzlich zu sein ist „emotional sein“ im besten Sinne. Verletzlich zu sein öffnet Türen, auch wenn Du Dich in dem Moment fühlst als wärest Du nackt unter lauter angezogenen Menschen oder einfach im freien Fall. Lass los und atme. Über Deinen Atem ziehst Du alle Energie und Liebe an, die Du brauchst, um sanft zu landen. Und mit Hilfe der Klopfakupressur kannst Du zusätzlich Kraft und neue Perspektiven für Deinen Geist freilegen.
(Unterstützung findest Du dabei in dieser Folge des Klopftimisten Ich fühle mich so verletzt und so verletzbar)
Verbinde Dich mit Deinen Mitmenschen
Du kennst vermutlich das beruhigende Gefühl, wenn Du von Menschen hörst oder liest, die über ihre verletzlichen Momente sprechen. In diesem Augenblick zeigen sie sich ganz verwundbar und verbinden sich auf diese Weise mit Deiner Verwundbarkeit. Deine Mitmenschen können sich leichter mit Dir verbinden, wenn sie erleben, dass auch Du Deine Emotionen und Gefühle offenbarst. Sie erleben, dass es Dir ganz genauso geht wie ihnen selbst.
Doch Achtung: Hüte Dich künftig davor, andere zu verurteilen oder zu beurteilen, wenn sie offen mit ihren Gefühlen umgehen. Das würde Deinen Glaubenssatz wieder nähren und Dich in diesem Muster festhalten. Erlaube Dir und Deinen Mitmenschen, zu üben und zu lernen, dass wir ganz wunderbare Wesen bleiben, auch dann, wenn wir uns verletzlich zeigen. Wir sind keine Maschinen und wir brauchen alle in diesen Zeiten der Veränderung die gegenseitige Unterstützung.
Schön, dass Du da bist.
Lebe Dein Leben. Jetzt.
Gesund. Erfolgreich. Glücklich.
Lebe Deine Gefühle. Lebe Deine Verletzlichkeit und öffne Dich für alle Regenbogenfarben Deines Lebens.
Im nächsten Beitrag schauen wir uns an, welche Rolle die Scham und Verlegenheit dabei spielen. Nun aber für Dich eine klärende, anregende Runde mit dem Podcast “Der Klopftimist“, um aus Deiner Verletzlichkeit mehr Kraft zu gewinnen und das Gefühl der Verwundbarkeit loszulassen. Ich habe Dir viele Informationen darin eingebaut, die Dich von dem alten Muster trennen.
Hier geht es direkt zur Podcast Folge
Wenn Du lieber allein klopfen magst, kannst Du das z.B. mit folgenden Sätzen einsteigen:
Auch wenn ich mich fühle als wäre ich im freien Fall, liebe und akzeptiere ich mich voll und ganz.
Auch wenn ich scheitern könnte, ist es mir das Risiko wert, mich vollkommen lebendig zu fühlen.
Ich erlaube mir, mich zu öffnen und verletzlich zu sein, weil ich ein Mensch voller Gefühle und Emotionen bin.
Auch wenn andere denken, Verletzlichkeit ist Schwäche, erlaube ich mir, mich vollkommen aus diesem Glaubensmuster, allen damit verbundenen Schwüren, Eiden und Gelübden jetzt für immer und in Liebe zu lösen.